Über kaum etwas gehen in den Rhetorikschulen dieser Welt die Meinungen so weit auseinander, wie über die richtige Dauer eines Vortrags. Ein Querschnitt der Lehrsätze – und deren Ableitung fürs richtige Leben.
- Es dient der Sache, sich kurz zu fassen.
- Die Aufmerksamkeitsspanne der Zuhörer ist kürzer.
- Wie lange eine Rede dauert, lässt sich im Vorfeld bemessen.
Die Kaplansregel: „Du darfst über alles predigen, aber nicht über sieben Minuten.“
Das ist eine zuhörerfreundliche Empfehlung, die meistens außer Kraft gesetzt wird, wenn ein hochrangiger Ehrengast der besagten Ehre halber von jedem Zeitmaß befreit wird. Die vermeintliche Hochachtung der Prominenz geht daher Hand in Hand mit einer Missachtung des Publikums, welche von selbigem erwidert wird. Guten Kaplänen hingegen fliegen die Herzen ihrer Gemeinde zu.
Die Konditionsformel: „Dein Vortrag soll nicht länger dauern, als du auf einem Bein stehen kannst.“
Schlauberger kommen natürlich gleich mit der Frage: Darf ich mich dabei am Lesepult festhalten? Die Antwort: Nein, genauso wenig wie am Manuskript, an der Powerpoint-Schau oder an anderen technischen Hilfsmitteln. Auch hier gilt Rücksicht aufs Publikum, denn das muss mitunter auf Stühlen sitzen, die dem Körper mehr abverlangen als einbeiniges Stehen.
Der Marathon: „Reden, bis man umfällt – oder die Zuhörer aufgeben.“
Der Hardline-Konservative Cato hat im römischen Senat einst Caius Julius Cäsar mit seinen Daueransprachen mürbe gemacht. James Stewart hat der politischen Waffe „Filibuster“ in „Mr. Smith geht nach Washington“ ein cineastisches Denkmal gesetzt. Und wann waren Sie das letzte Mal so weit, alles zu akzeptieren, wenn nur der Typ da vorne endlich aufhört, zu quasseln?
Die Guy Kawasaki-Regel: „10, 20, 30“
Wenn einer als Redner UND als Investor gefragt ist, darf er das „His Word is a Message“-Prinzip für sich in Anspruch nehmen und folgende Regel aufstellen. Sie gilt dem Erfinder Guy Kawasaki zufolge ausschließlich für Powerpoint-Präsentationen, weil er selbst nur diese Form nutzt: „Höchstens 10 Screens, höchstens 20 Minuten, mindestens 30 Punkt Schriftgröße.“ Für diese Zeitdauer muss man aber schon wirklich gut sein (oder wie der Erfinder der Regel) sehr viel Geld haben, um die ungeteilte Aufmerksamkeit der Zuhörer zu gewinnen und zu halten.
Die Faustregel: „10 Minuten, das macht 1000 Worte.“
Für Sprecherinnen und Sprecher bei Hörfunk und Fernsehen gilt das Maß: 12 bis 14 Zeilen Manuskript ergibt eine Minute Redezeit. Anhand eines beliebigen Textes umgerechnet und ein verständliches Sprechtempo vorausgesetzt, bedeuten 1.000 Worte demnach rund zehn Minuten Redezeit. Wir wissen inzwischen, dass das zu viel ist, gemessen an einer Wahrnehmungsspanne zwischen 280 Zeichen (Twitter), eines durchschnittlichen Films auf Facebook (2-3 Minuten) oder einer langen Nachricht in den Nachrichten (ca. 90 Sekunden).
Die doppelte Ampelregel: „Auf das Rot-Signal achten.“
Eine Sonderregel für Gesprächsrunden, nicht für Vorträge: Die einfache Ampelregel entspricht etwa den Grundsätzen beim (seit dem Gründungsboom der 1990er Jahre aus dem Blickfeld geratenen) „Elevator Pitch“: Alles, was einer zu sagen hat, muss in den Zeitblock zwischen dem Anhalten bei Rot und dem Weiterfahren bei Grün passen – sonst sind die anderen weg. Die anspruchsvolle Ampelregel besagt: In den ersten 20 Sekunden Ihrer Rede haben Sie die volle Aufmerksamkeit, „grünes Licht“. Nähert sich Ihr Beitrag der Dauer einer halben Minute, setzt bei den ersten Zuhörern Langeweile ein, „gelb“. Beanspruchen Sie mehr als 40 Sekunden, verlassen Sie den Dialog-Sektor, „rot“. Zum Vergleich: Europaabgeordnete haben bei parlamentarischen Aussprachen eine Minute Redezeit.
Der ultimative Tipp von Seneca dem Jüngeren.
„Kürze die lange Rede, damit sie nicht verdächtig wirke!“